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<title>Tonarten und Skalen</title>
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<h1>Tonarten und Skalen</h1>
<p>Falls Sie über eine Suchmaschine hierher gelangt sind: Dieses Dokument dient lediglich als Begleitmaterial und Zusammenfassung eines mündlichen Vortrags.</p>
<h2>TL;DR</h2> <p>Die Anzahl der Tonarten kann nur heuristisch eingeschätzt werden, wobei ich die Größenordnung auf etwa 100 schätze.
<br>Eine Tonart ist dabei eine Auswahl von Tönen, innerhalb derer ein Ton als Grundton definiert ergänzt wird. Im weiter unten vorgeschlagenen System ergeben sich dann erst 72 unterschiedliche,
musikalisch relevanten Skalen, deren Anzahl durch das Weglassen, Hinzufügung und musikalische
Eigenschaften (Floskeln, Kadenzen etc.) ergänzt (aber nicht multipliziert) ergänzt wird.</p>
<h2>Anlass</h2>
<p>Anlass hierfür war die Frage <a href="https://www.youtube.com/watch?v=E3vYVGMgZYY">"Wie viele Tonarten gibt es?"</a>.</p>
<p>Der Begriff "Tonart", wie viele musikalische Fachbegriffe, ist nicht eindeutig definiert.
Leider wird es nicht genauer definiert als eine Zusammenstellung von Tönen, wahrscheinlich in Relation zu einem
einem besonders wichtigen Ton, dem Grundton, und dann noch wie diese in Notenschrift o.ä. aufgeschrieben werden.
Möglicherweise fällt auch der Begriff "Modus" in diese Kategorie.</p>
<h2>Video</h2>
<p>Als direkte Antwort auf das <a href="https://www.youtube.com/watch?v=E3vYVGMgZYY">Video</a> muss man zunächst in Betracht ziehen,
dass sowohl Viktor Wooten als auch seine Zielgruppe ausübende Musiker sind. Der Aufhänger im Video ist
"Übt ihr in allen Tonarten? Dann müsst ihr wissen wieviele Tonarten es gibt." Damit werden andere Sachen relevant als in systematischer Musiktheorie (s.u.).</p>
<p>Eine Transposition verändert die Handhabung und Bedienung des Instruments beim Spielen, weshalb
dies einen zusätzlichen Übungsaufwand bedeutet. Beim Notenlesen und praktischen musizieren braucht es auch viele
Jahre, bis Vorzeichen keine Herausforderung mehr darstellen.</p>
<p>Im Video wird auch behauptet, ein "Modus" sei keine Tonart, sondern "nur eine Skala". Das ist theoretisch
falsch, doch im Kontext der traditionellen "Kirchentonarten" (dorisch, phrygisch etc.), ändert sich die Spielweise am Instrument nicht, von daher kann man den wegwischerichen Kommentar wieder aus der Sicht ausführender Musiker erklären.</p>
<p>So erklärt sich evtl. auch, dass hier zwischen paraleller Dur- und Molltonart (C-Dur und A-Moll)
unterschieden wird, obwohl es eigentlich nur ein "Modus/Skalen"-wechsel wäre. Vielleicht spielt
hier auch die historische Unterscheidung der Klassik- und Romantik eine Rolle, die Herr Wooten
verinnerlicht und nie angezweifelt hat. Egal woher es kommt, am Ende ist es musiktheoretisch ein
Widerspruch und eine schlechte Aussage im Video.</p>
<h2>Ein Vorschlag</h2>
<p>Als systematischer Musiktheoretiker interessiert mich wie es ist, nicht wie es historisch
bezeichnet wurde. Ich suche die gemeinsamen Grundlagen hinter diversen Praxis- und
Gebrauchsdefinitionen und -begriffen der Musikgeschichte.</p>
<p>Musik hat eine emotionale Identität. Diese Identität möchten wir bestimmen, und schriftlich
festhalten, damit sie an die Musiker kommuniziert werden kann. Sie kann auch helfen Musik besser zu
verstehen und zu hören.</p>
<p>
<ul>
<li>Die Tonauswahl verändert stark die emotionale Identität der Musik.</li>
<li>Vorgeschriebene Generalvorzeichen (am Anfang der Noten) sind reine Lesehilfen, abgeleitet aus der tatsächlichen Musik. Die Vorzeichen definieren nicht die Tonart, sie resultieren aus der Tonart.
<p>
<small>C-Dur:</small> <span class="notation">'&=R=S=T=U=V=W=X=Y=</span><br>
<small>auch C-Dur:</small> <span class="notation">'&=ª=R=S=ôT=U=V=÷W=øX=Y=</span>
</p>
</li>
<li>Einige Töne sind wichtiger als andere. Diese stehen an besonderen Stellen, z.B. ganz am Ende. Die Töne bauen untereinander ein logisch greifbares System auf, dass sich auf einen einzigen Grundton zurückführen lässt.</li>
<p> Klares C-Dur, auch ohne Vorzeichen oder andere Angaben:<br><span class="notation">'&=R=R=V=V=!=W=W=f=!=U=U=T=T=!=c===b===.</span>
</p>
<li>Ändert sich der Grundton oder die Skala (oder beides gleichzeitig) im Laufe des Stückes dauerthaft spricht man von "Modulation".</li>
<li>Transposition des gesamten Stückes verändert nicht die Identität der Musik. Alle internen logischen Bezüge (relative Tonabstände, Grundtöne etc.) bleiben erhalten. Die Musik wird lediglich insgesamt höher oder tiefer, akustisch werden also alle Frequenzen in gleichem Maße verändert. Diese Verschiebung ist natürlich musikalisch relevant, vor allem weil Instrumente in anderen Registern unterschiedlich klingen, aber Transposition ist ein vergleichsweise kleiner Faktor für den Gesamteindruck.
<p>Selbst wenn man ein nicht-gleichschwebend temperiertes Stimmungssystem annimmt ändert sich dadurch die emotionale Identität des Stückes nur in geringem Maße. Rezipienten nehmen dies vielmehr als Qualitätsmerkmal der Aufführung war.</p></li>
<li>Wie die Töne heißen und aufgeschrieben werden ist für die klingende Musik zweitranging. Korrekte Benennung und Ortographie sind für die Kommunikation Komponist->Musiker wichtig, aber nicht für die Identität der Musik. Man kann Leseaufwand und Fehler der Interpreten vermeiden, wenn man sich an tradierte Konventionen hält. Etwa "Zwei Kreuze heißt D-Dur oder H-Moll". Aber das ist nur eine Heuristik und die Musik kann auch anders klingen.</li>
</ul>
</p>
<h3>Praktische Skalenbildung</h3>
<p>Hier die von mir verwendete (nicht erfundene!) praktische,
aber dennoch systematische Skalenbildung. Praktisch heißt, dass nicht alle mathematisch möglichen
Kombinationen vorkommen, sondern nur die musikalisch relevanten, bzw. eigentlich sogar schon
deutlich mehr als im Gebrauch. Es ist also ein Überangebot (->Systematik) trotz oberem Limit.</p>
<p>So entstehen, ohne Transposition, 72 verschiedene Skalen. Ich notiere hier alles vom Grundton
C aus. Transpositionen sind erst ein nachfolgender Schritt (s.o.) und für die Tonartbildung
zunächst irrelevant. C-Dur ist hier das gleiche wie D-Dur.</p>
<p>An dieser Stelle gab es eine mündliche Erklärung wie die Skalen gebaut sind. Nachschlagen: "Melakarta Raga"</p>
<a href="skalen.html">Alle 72 Skalen</a>
<h3>Erweiterung des Begriffs Tonart</h3>
<p>Man könnte der Definition Tonart = Grundton + Skala entgegnen, dass sie nicht ausreiche. Es gäbe
z.B. Musikstücke, die sich deutlich unterscheiden, obwohl sie die gleiche Tonart hätten.
Instrumentierung und Intepretation mal außen vorgelassen.</p>
<p>Das bedeutet die Verwendung der Skala spielt auch eine Rolle. In indischen Ragas ist dies
tatsächlich ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal: Aufbauend auf der Skala gibt es typische
Floskeln, Abstufungen in der Wichtigkeit der Töne (Tonart 1: Terz ist wichtig, Tonart 2: Quarte ist
wichtig), Kadenzformeln, Position in der Form usw.</p>
<p>Allerdings ist das in unserer Musik nicht kodifiziert, sondern wird eher als
Epochenmerkmal oder Kompositionsschule/tradition begriffen. Vielleicht sogar nur als die Identität eines konkreten Musikstückes.</p>
<p>Dennoch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass es z.B. typisch "Dorisch" ist in aufsteigenden
Bewegungen die große Sexte zu spielen und in absteigender Bewegung die kleine.</p>
<p>Ebenso relevant für die musikalische Identität ist das hinzufügen oder auslassen von Tonstufen.
Dorisch und Lydisch sind, in real ausgeführter Musik, nicht heptatonisch sondern oktatonisch. Das
sogenannte "Melodische Moll" hat sogar neun verschiedene Töne in der Skala. Dann verschiedene
Pentatoniken, was auch immer nun <em>Die</em> Blues Skala sein mag etc.</p>
</body>
</html>